Von Gert Blumenstock
Die Stadt Darmstadt will das Gewässer,
dem sie angeblich ihren Namen verdankt,
aus der Kanalisation wieder ans Tageslicht
holen. Die Offenlegung des Darmbachs hat
nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische
Vorteile. Die Stadt kann Abwassergebühren
in Millionenhöhe sparen.
DARMSTADT. Die Einwohner machen
ihren Sonntagsspaziergang mitten in der
Stadt am Ufer des Darmbaches. Diese Vision
könnte bald wahr werden. Die Stadtverordnetenversammlung
hat mit deutlicher
Mehrheit beschlossen, die Planung des
ehrgeizigen Projektes voranzutreiben. Der
Darmbach entspringt im Osten der Stadt.
Er plätschert durch den Wald in Richtung
botanischer Garten und mündet in den Badesee
Großer Woog. Im Abfluss des Sees
wird der Darmbach zum ersten Mal in ein
Rohr gezwängt, um eine Straße zu unterqueren.
Auf der anderen Seite – in einem
kleinen Park – kommt er wieder an die
Oberfläche. Allerdings nur für kurze Zeit,
um dann endgültig im Dunkel der städtischen
Kanalisation zu verschwinden.
Im Kanalsystem mischt sich das relativ
saubere Bachwasser mit Schmutzwasser, fließt zur städtischen
Kläranlage und wird
dort mit einigem Aufwand gereinigt. Der
Darmbach belastet die Kläranlage jedes
Jahr mit mehr als 750 000 Kubikmeter
Wasser. „Es ist ökologisch sinnvoll, diese
Menge ohne Umweg über die Kläranlage
in den natürlichen Wasserkreislauf zu
bringen“, sagt Professor Reiner Wackermann
vom Bund Umwelt und Naturschutz
(BUND) in Darmstadt. Eine Machbarkeitsstudie
des Magistrats kommt zum
Ergebnis, dass das technisch möglich ist.
Eine Variante ist die Offenlegung des
Darmbachs von Großer Woog bis zum
Teich in der Parkanlage Herrngarten und
die unterirdische Weiterleitung Richtung
Nordosten zum ehemaligen Bahnausbesserungswerk
Knell – hier würde der Darmbach
wieder offen fließen. Das Wasser
könnte dann an der Kläranlage vorbei geführt
in den Darmbach münden, der dort
nach wie vor oberirdisch verläuft. Die Baukosten
für die drei Kilometer lange Strecke
liegen bei rund 3,3 Millionen Euro. Die
Stadtverwaltung räumt ein, dass diese
Zahl nur eine grobe Schätzung ist. Zudem
seien Ausgaben für die Gestaltung von
Uferflächen nicht enthalten.
Das Projekt rechnet sich nach Auffassung
der Verwaltung dennoch, da das Bachwasser nicht mehr in die Kanalisation
eingeleitet wird, was die Kläranlage
entlastet. Die Stadt kann deshalb nach eigenen
Schätzungen jedes Jahr Abwassergebühren
in Höhe von 1,5 Millionen Euro
sparen. Die Kosten für die „Offenlegung
des Darmbaches“ seien so in wenigen Jahren
abgegolten, so die Stadtverwaltung.
„Es ist Träumerei, dass sich das in kurzer
Zeit amortisiert“, sagt dagegen FDP-Stadtverordneter
Jan Dittrich. Wartungskosten
für das offenliegende Gewässer
und Kosten für Instandhaltung der Grünstreifen
seien nicht berücksichtigt. Seine
Partei lehnt als einzige das Vorhaben ab.
„
Zudem müssen wir erst eine Menge Geld
in die Hand nehmen, um das durchzuführen.“
Erste Priorität habe für die FDP die
Sanierung der Schulen. Dittrich sieht
auch technische Probleme. Er befürchtet,
dass der Darmbach in Trockenperioden in
seinem innerstädtischen Verlauf kein Wasser
führt.
Tatsächlich ist der Bach in der heißen
Jahreszeit schon unmittelbar nach der
Quelle nur noch ein dünnes Rinnsal. In
der Machbarkeitsstudie ist ebenfalls davon
die Rede, dass der Pegel stark
schwankt, bis hin zur fast völligen Trockenheit.
Es gibt aber einen Ausweg: Der Wasserspiegel des Großer Woog
wird um
einige Zentimeter angehoben, um in Trockenperioden
mehr Spielraum zu haben.
„
Wenn der Woog 15 Zentimeter höher gestaut
wird, können 20 Tage Minimalwasserführung
des Darmbaches ausgeglichen
werden“, so BUND-Vorstand Wackermann,
Ex-Leiter der städtischen Tiefbauplanung
und Professor für Siedlungswasserwesen
an der FH Darmstadt. Zudem
könnten andere Wasserpotentiale herangezogen
werden. Es sei möglich, den Meiereibach,
der hinterm botanischen Garten in
den Judenteich mündet, einzuleiten. Auch
könnte Regenwasser von großen Dachflächen
gesammelt und in den Bach geleitet
werden – etwa vom Finanzamt, dem Hallenbad
Stadtmitte oder vom Justus-Liebig-Haus. Wenn das Vorhaben zügig
voran
getrieben wird, ist die Vision vom innerstädtischen
Spaziergang am Darmbach bereits
in vier Jahren Wirklichkeit. Experten
rechnen mit zwei Jahren für das Planfeststellungsverfahren
und zwei Jahren
Bauzeit. Dann würde Darmstadt wieder
am Darmbach liegen. Strittig bliebe aber
nach wie vor, ob die Stadt dem Gewässer
tatsächlich ihren Namen verdankt, wie
das eine Chronik aus dem 18. Jahrhundert
nicht ohne Widerspruch behauptet.
Quelle: 16.02.02 Frankfurter Rundschau
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