Der Darmbach in der Rudolf-Mueller-Anlage hinter dem Badesee Großer Wog: Derzeit ist dem Gewässer nur ein kurzer überirdischer Auftritt gegönnt. Geht es nach der Mehrheit im Darmstädter Stadtparlament, soll sich das schon in vierJahren geändert haben.

Freiheit für den Darmbach

Darmstadts Parlament will das städtische Gewässer wieder an die Oberfläche holen / FDP sieht technische Probleme

Von Gert Blumenstock

Die Stadt Darmstadt will das Gewässer, dem sie angeblich ihren Namen verdankt, aus der Kanalisation wieder ans Tageslicht holen. Die Offenlegung des Darmbachs hat nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Vorteile. Die Stadt kann Abwassergebühren in Millionenhöhe sparen.

DARMSTADT. Die Einwohner machen ihren Sonntagsspaziergang mitten in der Stadt am Ufer des Darmbaches. Diese Vision könnte bald wahr werden. Die Stadtverordnetenversammlung hat mit deutlicher Mehrheit beschlossen, die Planung des ehrgeizigen Projektes voranzutreiben. Der Darmbach entspringt im Osten der Stadt. Er plätschert durch den Wald in Richtung botanischer Garten und mündet in den Badesee Großer Woog. Im Abfluss des Sees wird der Darmbach zum ersten Mal in ein Rohr gezwängt, um eine Straße zu unterqueren. Auf der anderen Seite – in einem kleinen Park – kommt er wieder an die Oberfläche. Allerdings nur für kurze Zeit, um dann endgültig im Dunkel der städtischen Kanalisation zu verschwinden.

Im Kanalsystem mischt sich das relativ saubere Bachwasser mit Schmutzwasser, fließt zur städtischen Kläranlage und wird dort mit einigem Aufwand gereinigt. Der Darmbach belastet die Kläranlage jedes Jahr mit mehr als 750 000 Kubikmeter Wasser. „Es ist ökologisch sinnvoll, diese Menge ohne Umweg über die Kläranlage in den natürlichen Wasserkreislauf zu bringen“, sagt Professor Reiner Wackermann vom Bund Umwelt und Naturschutz (BUND) in Darmstadt. Eine Machbarkeitsstudie des Magistrats kommt zum Ergebnis, dass das technisch möglich ist.

Eine Variante ist die Offenlegung des Darmbachs von Großer Woog bis zum Teich in der Parkanlage Herrngarten und die unterirdische Weiterleitung Richtung Nordosten zum ehemaligen Bahnausbesserungswerk Knell – hier würde der Darmbach wieder offen fließen. Das Wasser könnte dann an der Kläranlage vorbei geführt in den Darmbach münden, der dort nach wie vor oberirdisch verläuft. Die Baukosten für die drei Kilometer lange Strecke liegen bei rund 3,3 Millionen Euro. Die Stadtverwaltung räumt ein, dass diese Zahl nur eine grobe Schätzung ist. Zudem seien Ausgaben für die Gestaltung von Uferflächen nicht enthalten.

Das Projekt rechnet sich nach Auffassung der Verwaltung dennoch, da das Bachwasser nicht mehr in die Kanalisation eingeleitet wird, was die Kläranlage entlastet. Die Stadt kann deshalb nach eigenen Schätzungen jedes Jahr Abwassergebühren in Höhe von 1,5 Millionen Euro sparen. Die Kosten für die „Offenlegung des Darmbaches“ seien so in wenigen Jahren abgegolten, so die Stadtverwaltung.

„Es ist Träumerei, dass sich das in kurzer Zeit amortisiert“, sagt dagegen FDP-Stadtverordneter Jan Dittrich. Wartungskosten für das offenliegende Gewässer und Kosten für Instandhaltung der Grünstreifen seien nicht berücksichtigt. Seine Partei lehnt als einzige das Vorhaben ab. „ Zudem müssen wir erst eine Menge Geld in die Hand nehmen, um das durchzuführen.“ Erste Priorität habe für die FDP die Sanierung der Schulen. Dittrich sieht auch technische Probleme. Er befürchtet, dass der Darmbach in Trockenperioden in seinem innerstädtischen Verlauf kein Wasser führt.

Tatsächlich ist der Bach in der heißen Jahreszeit schon unmittelbar nach der Quelle nur noch ein dünnes Rinnsal. In der Machbarkeitsstudie ist ebenfalls davon die Rede, dass der Pegel stark schwankt, bis hin zur fast völligen Trockenheit. Es gibt aber einen Ausweg: Der Wasserspiegel des Großer Woog wird um einige Zentimeter angehoben, um in Trockenperioden mehr Spielraum zu haben. „ Wenn der Woog 15 Zentimeter höher gestaut wird, können 20 Tage Minimalwasserführung des Darmbaches ausgeglichen werden“, so BUND-Vorstand Wackermann, Ex-Leiter der städtischen Tiefbauplanung und Professor für Siedlungswasserwesen an der FH Darmstadt. Zudem könnten andere Wasserpotentiale herangezogen werden. Es sei möglich, den Meiereibach, der hinterm botanischen Garten in den Judenteich mündet, einzuleiten. Auch könnte Regenwasser von großen Dachflächen gesammelt und in den Bach geleitet werden – etwa vom Finanzamt, dem Hallenbad Stadtmitte oder vom Justus-Liebig-Haus. Wenn das Vorhaben zügig voran getrieben wird, ist die Vision vom innerstädtischen Spaziergang am Darmbach bereits in vier Jahren Wirklichkeit. Experten rechnen mit zwei Jahren für das Planfeststellungsverfahren und zwei Jahren Bauzeit. Dann würde Darmstadt wieder am Darmbach liegen. Strittig bliebe aber nach wie vor, ob die Stadt dem Gewässer tatsächlich ihren Namen verdankt, wie das eine Chronik aus dem 18. Jahrhundert nicht ohne Widerspruch behauptet.

Quelle: 16.02.02 Frankfurter Rundschau